Die Carte de Visite
Ein auf Kartonage montiertes und günstig herzustellendes Portrait: Damals eine echte Innovation, die weltweit zu einem gesellschaftlichen Bilderrausch führte. 1854 lässt André Adolphe-Eugène Disdéri in Paris das bildgebende Verfahren der Carte de Visite patentieren. Für mehr als ein halbes Jahrhundert prägen die „Visitkarten“ die gewerbliche Entwicklung der Photographie und den Berufsstand der Photographinnen und Photographen. Die Cartes de Visite sind handlich und werden rasch für alle Bevölkerungsschichten erschwinglich und zum Kassenschlager.
Sie werden begeistert gesammelt, getauscht und verschickt. Besonders angesagt sind zu der Zeit passende, vorkonfektionierte Weißalben – mal schlicht, mal prachtvoll. Diese Alben sind eine spannende Frühform des Mediums Fotobuch.
Menschen
des 19. Jahrhunderts
Die Kölner Photostudios
Auch in Köln erfreut sich die Carte de Visite schnell einer großen Beliebtheit. Insgesamt 426 Photographinnen und Photographen lassen sich von 1849 bis 1918 in den Adressbüchern der Stadt Köln nachweisen. Die Meisten betreiben ein Photoatelier, um mit der Anfertigung von Portraitdarstellungen Geld zu verdienen. Im 19. Jahrhundert markiert das Portraitgenre nicht weniger als 80 Prozent der photographischen Bildproduktion.
Eine Erfolgsgeschichte
Mit den Cartes de Visite beginnt Anfang der 1860er Jahre eine Revolution: In nie gekannter Weise können photographische Aufnahmen auf Karton nun das kollektive Bedürfnis nach Selbstbespiegelung befriedigen.
Parallel zu den Entwicklungen der Industrialisierung, durch die Köln in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Modernisierungsschub erfährt, potenzieren sich die Gründungen von Photoateliers im Stadtgebiet. Während sich die städtische Bevölkerung von 1871 bis 1914 verfünffacht, steigt die Zahl der gewerblichen Atelierbetriebe von 22 auf über Hundert an.
Zwischen Kunst und Kommerz
Vergleichbar zur digitalen Entwicklung unserer Gegenwart artikuliert sich eine neue Bilderlust. Sie ist gleichermaßen von Konvention und Demokratisierung geprägt. Der Zugriff auf das eigene Konterfei wird in Anlehnung an die Malerei durch bestimmte Accessoires aufgewertet: Gehobene Interieurs, gemalte Prospekte, feinste Roben und vordefinierte Posen spiegeln das bürgerliche Sehnsuchtspotential einer idealen Selbstauffassung wider. Gerade in ihrer Frühphase ist die Bilderwelt der „Carte de Visite“ von starken Stereotypen bestimmt.
Zeitgenössische Künstler*innen, Kritiker*innnen und Intellektuelle kritisieren die Auswüchse der Carte-Visite- Kultur in aller Schärfe. Hiermit verbunden ist eine generelle Abwertung, die bis heute die Sicht auf diese photographische Epoche dominiert. Wie kaum eine Bildgattung verortet sich die ambivalente Welt der Carte de Visite im Spannungsfeld von Konsum und Ware, Technik und Ästhetik, Kitsch und Kunst. Beeindruckend vielfältig sind die Gesichter und Gesten, Frisuren und Kleidungen, Anordnungen und Staffagen – ebenso wie die Tatsache, dass uns die Gesichter und Blicke der „Visitenkartenbilder“ heute noch berühren.